Der Konsiliarbericht

 

(von Rainer Mannheim-Rouzeaud)

 

Formalität mit symbolischer Bedeutung

 

Die Einholung des obligatorischen Konsiliarberichts für den Psychotherapieantrag wird von den Psychologischen Psychotherapeuten wie selbstverständlich erledigt. Dagegen regt sich – ganz im Gegensatz zum Gutachterbericht – so gut wie kein Widerstand. Das ist auch verständlich, bedeutet doch diese Formalität für den Psychotherapeuten keine und den ausfüllenden Arzt nur geringe Arbeit. Doch die symbolische Bedeutung dieser Formalität kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, drückt sich doch in der generellen Forderung nach dem Konsiliarbericht ein Verständnis für die Psychotherapie aus, dass für Psychologen letztlich nicht hinnehmbar ist.

Gemeinhin wird die Notwendigkeit des Konsiliarberichts von ärztlicher Seite damit begründet, dass dadurch eventuelle Fehlbehandlungen vermieden werden sollen. Im Formular für den Konsiliarbericht findet sich dafür eigens ein vom Arzt ankreuzbares Feld. Aus der Geschichte der Psychoanalyse wird in diesem Zusammenhang auch gerne auf einen kapitalen Interpretationsfehler von Sigmund FREUD hingewiesen, der seinerzeit die heftigen Beschwerden der Patientin Emma Eckstein als hysterische „Wunschblutungen“ missdeutete, anstatt auf die vom Operateur W. FLIES vergessene Verbandsgaze.

Und doch ist dieses Beispiel als Notwendigkeit für den Konsiliarbericht doppelt verdreht:

Denn was aus diesem historischen Beispiel gelernt werden kann (und muss), das ist, dass psychotherapeutische und medizinische Diagnose und Behandlung strikt zu trennen sind – und genau das ist nach wie vor nicht der Fall. Denn seltsam genug: Ärztliche Psychotherapeuten sind von dieser Formalität befreit, mit der seltsamen Begründung, dass sie ja Ärzte seien, also das Vorliegen eventueller organischer Ursachen für die Beschwerden selbst beurteilen könnten.

Das historische Beispiel beweist zwar eindrücklich das Gegenteil, dennoch hat sich die explizite Trennung von ärztlicher und psychologischer Diagnostik und Behandlung nicht eindeutig durchsetzen können. Diese notwendige Trennung, die bereits Sigmund Freud, das sei hier zur Rehabilitierung seines damaligen Interpretationsfehlers betont, theoretisch begründet und gefordert hat, ergibt sich aus der wissenschaftlichen Fundierung, die sich vom Ursachenverständnis als „dem einen Grund“ (letztlich ein theologischer Gedanke) notwendig verabschieden muss. Entscheidend für diese Weiterentwicklung zu einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise ist die Erkenntnis vom Zusammenhang von Methode und Gegenstand.

Ich setze hier voraus, dass der Leser die Methodennotwendigkeit wissenschaftlich fundierten Handelns akzeptiert, dass also Einigkeit darin besteht, dass sowohl medizinisches als auch psychologisches Diagnostizieren und Behandeln nicht einfach nach dem Grundsatz des gesunden Menschenverstandes erfolgen kann, sondern dass der gesunde Menschenverstand in ein Methodenverständnis weitergeführt werden muss. Das zu verstehen in Theorie und Praxis ist Aufgabe und Chance eines Studiums. Die Methode hat also nicht nur die Wirkung eines Mikroskops, durch das etwas sichtbar wird, was zwar tatsächlich existiert, aber ohne Mikroskop nicht sichtbar ist, sondern darüber hinaus, dass die Methode eine notwendige Bedingung der Gegenstandsbildung selbst ist.

Es ist also nicht statthaft, an die Klage eines Patienten, nehmen wir hier die typische depressive Symptomatik, mit dem vorwissenschaftlichen Ursachenverständnis heranzugehen, wir könnten die Ursache hierfür finden. Die Ursache, das gibt es gar nicht, das ist vorwissenschaftliches Denken, so darf der Patient denken, aber nicht der, der eine Wissenschaft anwenden will.

Als (studierter) Mediziner heißt Ursachenforschung: Suche nach den möglichen „Ursachen im Körper“ (d. h. mit den Mitteln der körperlichen Untersuchung), die diese Art von Symptomen hervorbringen könnten.

Als (studierter) Psychotherapeut heißt Ursachenforschen: Suche nach den „Ursachen in der Psyche“ (d. h. in den Zusammenhängen von Erleben und Verhalten, in der Biographie und seinen Mitteilungen darüber), die diese vom Patienten erzählte Geschichte hervorbringen könnten.

Nicht nur die Theorie, auch die Praxis beider Ursachen-Untersuchungsweisen zeigen überzeugend, dass man die beiden Untersuchungen nicht zusammen in einer Einheit durchführen kann. Das ist nun wirklich ausführlich genug bewiesen worden und der ärztliche Psychotherapeut muss diesen  Berufswechsel vollziehen, den bereits Sigmund Freud beschrieben hat. (Siehe hierzu: http://www.r-mannheim.de/freud.htm )

Der Psychotherapeut kann also eine körperliche „Ursache“ gar nicht übersehen, weil er dort gar nicht hinguckt. Es kann also durchaus sein, dass sowohl der Arzt fündig wird (Schilddrüsenerkrankung z. B.), als auch der Psychotherapeut (übertragene Konflikte z. B.). Beide behandeln eine "Depression", aber der gleiche Name verweist in diesem Beispiel jeweils auf etwas ganz anderes (dieses andere wird erst durch die jeweilige Methode herausgehoben und sichtbar).

Was heißt das für den Konsiliarbericht?

Als generelle Forderung wie im Psychotherapiegesetz ist er überflüssig und unsinnig. Sein geheimer Sinn ist sicherlich, die ärztliche Kompetenz in Bezug auf psychische Störungen nicht an die psychologische Wissenschaft abgeben zu wollen. Mit der Einbettung der Psychotherapie in die Medizin durch das Psychotherapeutengesetz haben die Psychologen jedoch selbst diesen Zustand herbeigeführt. Letztlich geht es um den Konflikt, ob die Psychotherapie von der psychologischen oder der medizinischen Wissenschaft her zu begründen ist.

Zur Zeit gibt es aber eine kleine Lösung, in der sich Ärzte und Psychologen treffen könnten, ohne dass der hier aufgezeigte Konflikt ausgetragen werden muss:

Nämlich in all den Fällen, in denen ein Patient mit der Überweisung eines Arztes zum Psychologischen Psychotherapeuten kommt, auf den Konsiliarbericht zu verzichten. Denn in diesen Fällen, die in der Praxis sogar die überwiegende Mehrheit ausmachen, wurde ja bereits eine medizinische Ursachenabklärung vorgenommen. Bei vorliegender Überweisung ist der geforderte Konsiliarbericht nicht nur überflüssige Bürokratie, sondern eine Demonstration dafür, dass der Psychologische Psychotherapeut in Abhängigkeit gehalten werden soll.

Karlsruhe, den 20. Sept. 2011

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