Rainer Mannheim-Rouzeaud |
www.r-mannheim.de |
5. Juni 2019
Sehr geehrter Herr Lanz,
als psychologischer Psychotherapeut habe ich mit großem Interesse Ihre Sendung am 30. Mai verfolgt, in der Sie Gesundheitsminister J. Spahn und den Psychiater M. Lütz zu Gast hatten. Wie aus früheren Veröffentlichungen (z. B.: Die ZEIT, 13/2014, S. 39 oder die Sendung Zwischentöne des Deutschlandfunks vom 18.05. 2015) zu erwarten war, hat Herr Lütz seine These vorgetragen, die Psychotherapeuten behandelten überwiegend Menschen, die eigentlich keiner Behandlung bedürften, und für die schweren psychischen Störungen stünden deswegen keine Behandlungsplätze zur Verfügung. In eklatantem Widerspruch dazu betonte Herr Lütz in dem Gespräch gleichzeitig und sogar mehrfach, die Psychotherapeuten leisteten „hervorragende Arbeit“.
Leider haben Sie
diesen Widerspruch nicht zum Thema gemacht. Denn wie kann es sein,
dass die psychologischen Psychotherapeuten „hervorragende
Arbeit“ leisten, wenn diese – wie Herr Lütz
ausführte – keinen Unterschied zwischen gewöhnlichen
Lebenskrisen und psychischen Störungen mit Krankheitswert
machten und massenweise die falschen Menschen behandelten? Dann
müsste Herr Lütz doch an der Kompetenz der
Psychotherapeuten erhebliche Zweifel haben, denn die Diagnostik der
psychischen Störung gehört ja mit zur psychotherapeutischen
Tätigkeit. Vielleicht ist Ihnen dieser Widerspruch auch gar
nicht aufgefallen, denn die plakative Eingangsthese von Herrn Lütz
ruft ja, wenn sie denn richtig wäre, Empörung hervor. Das
ist doch ein Skandal, denkt man zustimmend und vergisst, dass es
vielleicht mit dem Wahrheitsgehalt der Behauptung nicht gut steht.
Schade, dass es
Herrn Lütz in den Medien gelingt, diesen journalistisch
wünschenswerten Geist der kritischen Überprüfung still
zu legen. So werden dann auch die anderen Inkonsequenzen nicht
deutlich, leider auch in Ihrer Sendung: Offensichtlich bemerkt Herr
Lütz selber die Schieflage seiner plakativen These der
Falschbehandlung, wenn er im Gegenzug gleich mehrfach die gute Arbeit
lobt. Wohl deswegen greift er dann die „Funktionäre“
an - womit er die gewählten Vertreter der Psychotherapeuten
meint, so als seien diese die eigentlich Verantwortlichen. Nur, wie
können die Funktionäre die Schuldigen sein, die doch die
Diagnosen gar nicht stellen? An der Inkompetenz der psychologischen
Psychotherapeuten, die ja angeblich die falschen Patienten behandeln,
würde diese Kritik-Verschiebung nicht das geringste ändern.
Denn es sind schließlich diese Psychotherapeuten, die die
Diagnosen stellen und nicht die Funktionäre. Und dass deren
Politik von der überwiegenden Mehrheit der Psychotherapeuten gut
geheißen wird – die Kammern werden gewählt, nicht
von irgendwoher bestimmt - das kommt natürlich ebenso nicht zur
Sprache.
An den
Argumentationen von Herrn Lütz muss also gewaltig etwas faul
sein. Und das ist auch der Fall. Da hätte ich mir schon
gewünscht, einen wirklichen Vertreter des psychotherapeutischen
Faches als weiteren Gast zu sehen – unter den Psychiatern
werden Sie da mit der Lupe suchen müssen, um einen zu finden.
Ein solcher psychologischer Psychotherapeut hätte dann auch den
absurden Vergleich mit der Notfallmedizin zurechtrücken können,
den sich Herr Lütz nicht scheute zu ziehen. Aus diesem Vergleich
heraus wurde ja auch das „gestufte und gesteuerte“
Vorgehen abgeleitet, das Gesundheitsminister Spahn wollte. Da wird
ein Verfahren der stationären Notaufnahme auf den ambulanten
Bereich übertragen, das dort nicht hingehört. Und
glücklicherweise auch nirgendwo angewendet wird. Kein ambulanter
Arzt sortiert in seinem normalen Arbeitsalltag seine Patienten nach
„Schwere“ der Fälle, oder bekommt diese Patienten
bereits vorsortiert zugewiesen, wie Herr Lütz das für die
Psychotherapie vorschlägt. Dieses Vorsortieren der Patienten
widerspricht auch entschieden der Freiheit des Patienten, sich seinen
Arzt und seinen Psychotherapeuten wählen zu dürfen, auch
beim Erstzugang. Dass dieses Freiheitsrecht durch die Pläne von
Herrn Spahn in Gefahr war, und dass diese Gefahr der Grund für
die Proteste der psychologischen Psychotherapeuten war, darüber
hat man in der Sendung dann leider kein einziges Wort hören
können.
Herr Lütz will
das Rad der Psychotherapie-Geschichte zurückdrehen und zum alten
Delegationsverfahren zurückkehren, wie es vor dem
Psychotherapeutengesetz der Fall war und das den Diplom-Psychologen
und Psychotherapeuten zur Heilhilfsperson degradierte. Damals gab es
noch kein freies Erstzugangsrecht des Patienten zum psychologischen
Psychotherapeuten, sondern der Arzt delegierte den Patienten an einen
kassenzugelassenen Psychotherapeuten. Erst dann war eine
Kassenabrechnung möglich. Dass es damals keine Engpässe
gegeben habe, ist schlicht falsch. Die Engpässe waren im
Gegenteil so groß, dass sich viele Krankenkassen genötigt
sahen, Psychotherapie auch für nichtkassenzugelassene
Psychotherapeuten zu genehmigen (im sogenannten
Kostenerstattungsverfahren). Diese Engpässe waren mit ein Grund
dafür, dass endlich ein Psychotherapeutengesetz verabschiedet
werden konnte.
Dass die
Psychotherapie ihre Eigengesetzlichkeiten hat, die nicht aus der
Medizin her abgeleitet werden können, dass zu deren Kenntnis die
entsprechende Psychologie notwendig ist, all das ist dem Psychiater
Manfred Lütz leider nicht geläufig. Über diese
psychologischen Eigengesetzlichkeiten der Psychotherapie kann der
interessierte Bürger in den Medien leider kaum etwas erfahren.
Zur psychologischen Kompetenz gehört z. B., dass man die Not der
Patienten nicht gegenseitig ausspielen kann. So undifferenziert von
den „schweren psychischen Störungen“ zu sprechen,
wie Herr Lütz das tut, ist völlig unangemessen.
Sie, Herr Lanz,
haben das selbst verspürt, als sie zurückfragten, wer denn
diese Vorsortierung treffen sollte, und mit dieser Frage mehr
Feingefühl für die psychotherapeutische Situation bewiesen
als Ihr Gast. Herr Lütz hat diese Frage geflissentlich überhört
und mit seinem unzulässigen Vergleich mit der Notfallmedizin
sofort erschlagen. Die notwendige Wahlfreiheit des Patienten (und
übrigens auch des Psychotherapeuten), die Herr Lütz mit
seinem Vorschlag torpediert, ist für ihn offensichtlich kein
Anliegen. Das widerspräche allerdings einem grundlegenden
Wirkungsfaktor einer Psychotherapie, nämlich dem
Beziehungsgeschehen. Sigmund Freud nannte das bekanntlich
„Übertragung“. Dieses Beziehungsgeschehen unfrei und
damit unbewusst zu halten, ist allerdings ein schwerer
Behandlungsfehler in der Psychotherapie.
Ich würde mich
freuen, wenn in einer Ihrer zukünftigen Sendungen für
dieses Stück notwendiger Psychologie ein wenig Platz eingeräumt
werden würde.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Mannheim-Rouzeaud