Rainer Mannheim-Rouzeaud: | Veröffentlicht im Psychotherapeutenjournal Heft 4/2004, S340 ff. |
"Vor gut zehn Jahren konnte man Qualitätssicherung noch als Modewort apostrophieren, das zur Verzierung jeder Fachtagung geeignet war". So beginnt der Autor Heiner Vogel seinen Artikel "Qualitätssicherung: ein Arbeitsprogramm im Spannungsfeld zwischen Förderung und Disziplinierung" (Psychotherapeutenjournal 2/2004), um dann aber die Kritik an diesem "Fantasiebegriff" als überholt abzulegen. Auf diese Weise kommen die eigentlich wichtigen Fragen nicht mehr in den Blick:
Aus welcher
wissenschaftlichen Auffassung stammen die Begriffe, mit denen der
Autor Qualität definiert? Sind diese Begriffe in der
Psychotherapie tauglich?
Was ist überhaupt
Qualität?
Gibt es Qualität nicht
nur in Verbindung mit einer Sache, einem Gegenstand, einer
Methode? Kann es daher eine Qualitätssicherung jenseits der
unterschiedlichen wissenschaftlichen Auffassungen vom Seelischen
überhaupt geben?
Der Autor vergißt nicht
zu erwähnen, daß Psychotherapeuten schon immer von sich aus an
einer guten Qualität ihrer Arbeit interessiert waren. Warum
also, etwas, das schon da ist, von außen mit einem Gesetz
reglementieren wollen. Cui bono? Dieser Frage geht der Autor
ebenfalls nicht nach.
IIch möchte die Frage noch einmal ganz anders, persönlich stellen: Was würden sich Psychotherapeuten wünschen, bäte man sie, Vorschläge zur Qualitätssicherung zu machen? Da ich hier keine Zeit für eine empirische Untersuchung habe, will ich von mir persönlich sprechen:
Für die Qualitätsverbesserung meiner Arbeit wünschte ich mir in erster Linie, mehr Zeit zur Verfügung zu haben. Nach einer Therapiestunde hätte ich gerne eine halbe (vergütete) Stunde, um mir Notizen aus der Sitzung zu machen, um den Fall nochmals durchzudenken, um dem Methodischen meiner Arbeit auch den erforderlichen Raum geben zu können. Diese methodische Arbeit wird aber nicht honoriert. Es wird offensichtlich erwartet, daß sie nebenher, rein gedanklich ablaufen könne.
Persönlich nehme ich mir die Freiheit, z. B. nach dem Erstgespräch, eine solche die Qualität sichernde Stunde einzuschieben, in der ich ein Gedächtnisprotokoll sowie erste Strukturüberlegungen niederschreibe. Diese Stunde wird von der KV jedoch als Freistunde gewertet.
Das gleiche Problem zeigt sich in noch schärferer Form bei der Testdiagnostik sowie den Gutachterberichten: Die psychologischen Tests sind ein sehr gutes Mittel, den Patienten gleich zu Beginn von einer ganz anderen Seite als der seiner erzählten Geschichten kennenzulernen. Insbesondere ein Intelligenztest sowie die TAT-Geschichten und der Rorschachtest sind hier aufschlußreich. Zwar dienen die Test sehr der Qualität meiner Arbeit, aber der Zeitaufwand steht im keinen Verhältnis zur Honorierung. Das Gleiche gilt für die Gutachterberichte bei Verlängerungsanträgen. Diese könnten durchaus einen qualitätssichernden Charakter haben, würde man ihnen den entsprechenden zeitlichen (und zu honorierenden) Rahmen, den diese Arbeit benötigt, zubilligen. Dies ist aber wie wir alle wissen nicht der Fall. Es ist ein Skandal, daß der ausführliche Bericht des Therapeuten nur in gleicher Höhe vergütet wird, wie das Lesen und die paar Zeilen des Gutachters. Hier geschieht genau das Gegenteil von Qualitätssicherung.
Seltsamerweise oder besser gesagt: ganz logischerweise fragen die Damen und Herren Qualitätssicherer nicht die Psychotherapeuten, wie sie denn ihre Qualität fördern würden, sondern stülpen ein von außen kommendes System über die Psychotherapie. Daß es genug willfährige Helfer unter den Psychotherapeuten gibt, die so etwas mitmachen, gar es noch gut finden, ist zu bedauern, aber es besagt nicht das Geringste über die Qualität der "Qualitätssicherung". Rückrat war noch nie eine besondere Stärke unseres Berufsstandes.
Ich komme nochmals auf das Phänomen des ersten Satzes des Autors zurück, in dem er das Entscheidende ("Modewort", "Fantasiebegriff") kurz erwähnt und dann ad acta legt. Kennen wir dieses Phänomen nicht hinreichend aus unseren Therapien? Zumindest die tiefenpsychologisch orientierten Kollegen müßten doch eine geschulte Wahrnehmung für dieses Phänomen haben: In den ersten, oft beiläufigen Bemerkungen eines Patienten steckt oft das ganze Problem. Es wird genannt und anschließend aufwendig verborgen, indem Nebenwege zu schwerwiegenden Bedeutungen erhoben werden. Das ist nichts anderes als eine neurotische Konstruktion, und in der Tat, bei dem, was uns da als Qualitätsmanagement und sicherung zugemutet werden soll, handelt es sich um eine agierte Zwangsneurose: ein Versuch, unfundierte Machtansprüche auszubreiten.
Die beiden Artikel "Qualitätssicherung: ein Arbeitsprogramm im Spannungsfeld zwischen Förderung und Disziplinierung" und "Systematische Verlaufsbeobachtung in der ambulanten Psychotherapie" stehen ja sichtlich in einem Zusammenhang, der erste Artikel als Repräsentant der Theorieseite der zweite als Beispiel für eine praktische Umsetzung.
Zunächst ein Blick auf die Theorieseite, also den Artikel von Heiner Vogel:
Der Autor geht nach eigener Darstellung von einer "kybernetischen Beschreibung des Qualitätsbegriffes" (S. 122) aus, um dann die vorgestellten Definitionen mit den Begriffen "Ist-Werte" und "Soll-Werte" weiterzuführen. Ob seine Beschreibung tatsächlich eine kybernetische ist, will ich hier nicht untersuchen, es reicht aus festzustellen, daß die Vorgehensmodalitäten des Autors allenfalls für die Verhaltenstherapie Gültigkeit haben und einer (tiefen)psychologischen Betrachtungsweisen nicht standhalten können. Denn die Einteilung in "Ist- und "Soll-Werte" ist eine Vorfestlegung, die dem, was seelisch geschieht, nicht gerecht wird. Schlimmer noch, blendet sie doch seelische Vorgänge und Wirksamkeiten einfach aus, als existierten sie gar nicht. Sie berücksichtigt in keiner Weise, daß erst in der Entwicklung der Therapie ein "Soll-Wert" entsteht. Und auch der sogenannte "Ist-Wert" steht nicht am Anfang fest, sondern wird im Laufe dieser Entwicklung ständig durch die Erinnerungen des Patienten ergänzt. Psychologisch gesehen wird der Indem-Charakter1 des Seelischen hier völlig übersehen. Die Auffassung vom Seelischen ist beim Autor eine behavioristisch verkürzte, was dann im Folgeartikel von Matthias Richard seine praktische Konsequenzen zeitigt:
Würde man die von
Richard vorgeschlagene "Systematische
Verlaufsbeobachtung" in einer (tiefen)psychologisch
orientierten Psychotherapie durchführen, dann wären
Übertragungsprozesse gar nicht mehr wahrnehmbar, geschweige denn
deutbar. Die Wahrnehmung der Übertragung, d. h. die (unbewußte)
Wiederholung einer strukturellen Sicht- und Handlungsweise des
Patienten in der Therapie und/oder an der Person des Therapeuten,
ist aber ein entscheidendes Agens für wirk-liche Veränderung
aus Einsicht (= selbst Gesehenem), im Gegensatz zur nur
andressierten Veränderung.
Nur am Rande will ich
hier die Simplizität der Basisfragen an die Patienten
kritisieren, aus denen der Autor dann theoretische Ableitungen
folgert, die - im Verhältnis zum Basismaterial - nur noch
abenteuerlich genannt werden können. Es ist schon erstaunlich,
wie unbedarft oder rücksichtslos Grundlagen psychologischen
Untersuchens übersehen werden können. Daß die Aussagen eines
Menschen durchaus im Kontrast zu dem, was er meint, stehen
können, ist bereits eine Erfahrung des Alltags, wird vom Autor
aber gar nicht berücksichtigt. Diese (mindestens) Doppelheit des
Seelischen sollte spätestens seit den Veröffentlichungen PAUL
WATZLAWICKs (1974) doch zum Allgemeingut psychologischen
Untersuchens gehören, wenn schon nicht die Schriften SIGMUND
FREUDs (1940 ff.) in dieser Hinsicht überzeugen konnten und zur
Rezeption der Werke WILHELM SALBERs (1980) nicht vorgedrungen
worden ist.
Noch gravierender aber:
Ein oft typisches Therapiephänomen ist die deutliche
Symptomverbesserung nach wenigen Sitzungen, was aber in aller
Regel keineswegs der Therapie zuzurechnen ist, sondern Ausdruck
des allgemeinpsychologischen Phänomens ist, das der Volksmund im
Spruch "Neue Besen kehren gut" oder schöner noch
Hermann Hesse in seiner Formulierung "Jedem Anfang
wohnt ein Zauber inne" zum Ausdruck gebracht hat.
Hier offenbart sich bei
den Autoren ein Mangel an psychologischem Wissen, der und
das kann nicht mehr verschwiegen werden leider auch durch
Psychotherapie-Zusatzausbildungen nicht ausgeglichen werden kann.
Sigmund Freud hat bereits auf diese Notwendigkeit, über
seelisches Funktionieren Bescheid zu wissen, hingewiesen und hat
aus diesem Grund die Traumanalyse so sehr betont. Denn in seiner
Traumdeutung hatte er seine Allgemeine Psychologie entwickelt.
Folgerichtig meinte er, nur der sollte Psychoanalyse betreiben,
der einen Traum analysieren könne. Übertragen auf die heutige
Zeit heißt das: Nur der sollte Psychotherapie betreiben
(oder/und darüber schreiben), der z. B. einen Film oder einen
Werbespot psychologisch untersuchen kann.
Wie unsinnig es ist, die
Symptomreduzierung als hinreichendes Maß sinnvoller
Psychotherapie definieren zu wollen, will ich nochmals an einem
Beispiel aus meiner Praxis darstellen:
Ein Patient suchte mich
auf wegen einer sehr ausgeprägten Hundephobie. Nun will es der
Zufall, daß ich selber Halter eines sehr großen
Schäferhundmischlings bin, der in den Therapiestunden
gewöhnlich hinter meinem Sessel liegt. Ich will darauf
verzichten, mir auszumalen, wie ein Verhaltenstherapeut nun die
Psychotherapie gestaltet hätte, sondern nur das Symptom der
Hundephobie weiter berichten. Dieses Problem löste nämlich mein
Hund in der 2. Stunde, indem er nicht, wie eigentlich üblich,
auf seinem Platz liegen blieb, sondern den Patienten lebhaft
begrüßte mit genau den Verhaltensmerkmalen (hochgestellte
Ohren, erhobener Kopf"), die der Patient in der ersten
Stunde sehr treffend als hundecharakteristisch und ihn so
ängstigend beschrieben hatte (das sind nämlich die Merkmale der
interessierten Begrüßung beim Hund). Der Patient erstarrte
zunächst zwar, ließ es aber geschehen. Mit dem Begriff der
"Desensibilisierung" würde man dem, was da geschah,
nur sehr unzureichend gerecht. Denn: In der nächsten, 3. Stunde
streichelte der Patient von sich aus den Hund. Er machte also die
Erfahrung, daß Hunde nicht nur "angstmachend" (= sein
Symptom2) sondern auch "zum-Streicheln-einladend" sind.
Der ganze Vorgang war
natürlich kein psychotherapeutischer, sondern nur die
zufällige Einleitung einer Psychotherapie, in der danach
die Probleme des Patienten, nicht seine Symptome (dieser
Begriff paßt besser zur Medizin als zur Psychotherapie)
umfassend zur Sprache kamen, und genau darum geht es in einer
Psychotherapie.
Qualitätssicherung ist
nicht etwas, was direkt im Verlauf der Arbeit selbst erreicht
oder überprüft werden kann. Wer das glaubt, hat die
Methodengebundenheit von wissenschaftlich-fundierter Tätigkeiten
nicht begriffen und benutzt einen Utopiebegriff3, wie ihn PAUL
WATZLAWICK anschaulich kritisiert hat. Die Qualität unserer
Arbeit wird durch wissenschaftliches Studium und
Psychotherapie-Zusatzausbildung gesichert. Hier
insbesondere was die Kenntnis psychologischen Funktionierens
angeht gibt es in der Tat einiges zu verbessern, was
aber nicht per Gesetz, sondern im Streit der Wissenschaften zu
entwickeln ist. Auch äußere Bedingungen bestimmen die Qualität
der Psychotherapie (gegenwärtig vor allem negativ) mit, wie
Einbettung in fremde Strukturen (KV), formalisierte Vorgaben, die
Weiterentwicklungen blockieren (Psychotherapie-Richtlinien),
Bezahlung usw. Wer Qualität sichern möchte, findet hier genug
Betätigungsfelder, in denen Verbesserungsbedarf besteht. Wer
aber die Qualitätssicherung in den therapeutischen Verlauf
verlagern will, gefährdet diesen selbst.
Eine 2. Variante, uns
Psychotherapeuten mit Qualitätssicherung beglücken zu wollen,
wird zur Zeit von verschiedensten neu gegründeten
Management- Instituten praktiziert. So empfiehlt zur
Zeit die KV Nordbaden nicht ohne den Hinweis auf den
Gesetzestext zu vergessen in ihren diversen Rundschreiben
die Kursangebote der Management Akademie
Baden-Würtembergischer Ärzte e. V. Da reihen sich dann
Windows- und Wordkurse neben so relevanten Kursangeboten wie
"Das Telefon - die Visitenkarte der Praxis" oder
"Selbstsicheres Auftreten und wirkungsvolles
Vortragen". Mit der Qualität unserer Arbeit hat dies
nichts, aber auch gar nichts zu tun, es sagt allerdings etwas
über das Niveau der "Qualitätssicherer" aus.
Um es noch einmal ganz
deutlich zu sagen: Was uns hier angeboten wird, ist schlicht
Firlefanz4, der uns mit Hinweis auf den Gesetzestext
zwangsverkauft werden soll. Wir sollten nicht den Fehler
machen, wie Richard diesem Unsinn eigenen Firlefanz
entgegenzusetzen. Einen unsinnigen Gesetzestext braucht man nicht
willfährig zu erfüllen, hier reicht Aufklärung und
gegebenenfalls ein deutliches Nein.
1 Grundlegende Seherfahrung psychologischen Erfassens: Indem eine Seite entwickelt wird, wird eine andere Seite (unter umständen gänzlich unbewußt) mitentwickelt / transportiert.
2Symptom ist das, was der Patient feststellt, und zwar im doppelten Wortsinn; Symptome sind also das fest-Gestellte. Was der Patient fest-stellt, nimmt der Therapeut zur Kenntnis, aber die fest-Stellung (also die Fixierung) muß (sollte) er ja nicht mitmachen.
3"Qualitätssicherung" verspricht einen utopischen Zustand bei gleichzeitiger Ausblendung der tatsächlich für die Qualität entscheidenden Voraussetzungen
4 Siehe hierzu z. B. die Aussagen von Frau Dr. Franziska Diel, KBV, in "report psychologie" Heft 6/2004 S. 389ff. (Um die Relevanz des Qualitätsmanagements auch für die Einzelpraxis aufzuzeigen, bringt Frau Diel tatsächlich folgendes Beispiel: "...aber auch mit einer Putzfrau ist es wichtig, klare Absprachen zu treffen, wann und wo was geputzt werden muß und wie die Toilette gereinigt werden soll." S. 391, 1. Spalte.)